Helpcheck-Gründer im Interview
„Wir konzentrieren uns auf komplexe Rechtsfragen“
16-10-2022 06:24 Stunden
Fluggastrechte oder Mietminderungen: Bei vielen einfachen Streitigkeiten haben sich längst Legal-Tech-Unternehmen durchgesetzt, die Verbrauchern mit weitgehend digitalen Verfahren bei der Durchsetzung ihrer Rechte helfen. Aber jetzt gehen sie auch komplexere Themen an. Das Unternehmen Helpcheck verfolgt illegale Glücksspielanbieter bis nach Malta.
Fluggastrechte oder Mietminderungen im Standardfall: Legal-Tech-Unternehmen – Start-ups, die Verbrauchern mit hochstandardisierten Prozessen zu ihrem Recht verhelfen – dominieren solche Themen längst. Aber jetzt gehen sie auch komplexere Themen an. Der Gründer von Helpcheck erzählt ntv.de, wie das Unternehmen illegale Glücksspielanbieter bis nach Malta verfolgt.
ntv.de: Legal Techs haben sich zum Beispiel im Bereich der Entschädigung bei Flugverspätungen oder der Durchsetzung der Mietpreisbremse etabliert. Ist mit der Berichterstattung über diese Verbraucherthemen ein Ende des Branchenbooms in Sicht?
Peer Schulz: Insgesamt steckt die Digitalisierung in der Justiz noch in den Kinderschuhen. Die Gerichtsbarkeit ist gerade erst im 19. Jahrhundert technologisch angekommen. Entsprechend groß ist das Potenzial für digitale Geschäftsmodelle. Ich sehe verschiedene Richtungen, in die sich die Branche bewegt. Insbesondere neue, komplexere Rechtsgebiete. Darüber hinaus entstehen neue Geschäfts- und Kooperationsmodelle, wie zum Beispiel Partnerschaften mit Rechtsschutzversicherern.
Grundlage des Geschäftsmodells von Legal-Tech-Unternehmen sind Skalierbarkeit, weitreichende Standardisierung und Digitalisierung von Prozessen. Das scheint bei der oft außergerichtlichen Durchsetzung von Fahrgastrechten einfach. Stößt diese Herangehensweise in komplexeren Rechtsgebieten nicht schnell an ihre Grenzen, insbesondere wenn Fälle regelmäßig vor Gericht verhandelt werden?
Wir bei Helpcheck fokussieren uns speziell auf die komplexeren Rechtsgebiete, die nicht im Fokus der Branche stehen. Der Aufwand ist erheblich größer. Aber es gibt nur wenige Wettbewerber, wenn es darum geht, beispielsweise fehlerhafte Lebensversicherungsverträge rückgängig zu machen. Dies ähnelt auch den Verlusten bei Internet-Glücksspielen, die wir jetzt als neue Gerichtsbarkeit ansprechen.
Wie gehen Sie vor?
Eine kurze Erklärung: Viele Anbieter von Glücksspielen im Internet haben keine gültige Lizenz nach deutschem Recht und bieten ihre Dienste daher illegal an. Dies bedeutet, dass Verbraucher ihre Schäden vollständig zurückerhalten können. Einerseits wissen das nur wenige Betroffene. Und andererseits ist es für den einzelnen Verbraucher nahezu unmöglich, diesen Anspruch geltend zu machen, da die Anbieter meist im Ausland – meist in Malta – sitzen und auf entsprechende Anfragen nicht reagieren. Zunächst sind wir gemeinsam mit Anwälten in Deutschland und Malta einige Fälle durchgegangen, um Erfahrungen zu sammeln und die Kosten-Ertrags-Relation zu testen. Anschließend haben wir ein Netzwerk von Partneranwälten in Deutschland und Malta aufgebaut, Software zur effizienten Bearbeitung von Fällen entwickelt und schließlich in die nötigen Werbeanzeigen, beispielsweise in sozialen Netzwerken, investiert, um Betroffene anzusprechen und über ihre Ansprüche zu informieren.
Also lohnt sich dieser Aufwand – inklusive Werbung, Anwaltskosten und Gerichtskosten in zwei Ländern – für Sie?
Der Aufwand in diesem Fall ist oft mit komplexen Inkassoverfahren verbunden, da die Unternehmen oft auch nach verlorenen Klagen nicht zahlen, Insolvenz anmelden und unter anderem Namen weitermachen. Aber es lohnt sich – für uns und für die betroffenen Verbraucher. Legal Techs wie wir stellen in solchen Fällen vor allem das Gleichgewicht zwischen Unternehmen und Verbrauchern wieder her.
Sehen Sie darin eine „Mission“ von Legal Techs?
Ja, Verbraucher können mit Hilfe von Legal Techs Ansprüche gegen Unternehmen geltend machen, auf die sie sonst kaum eine Chance hätten. Und das ohne Risiko für den Verbraucher, denn nur im Erfolgsfall sind wir am Streit beteiligt. Ein weiteres Beispiel ist ein Lieferbote, der ohne Abfindung entlassen wurde. Offenbar dachte der Arbeitgeber, dass der Mann, der zudem kaum Deutsch spricht, seine Forderung nicht kenne oder zumindest nicht vor Gericht durchsetzen würde. Mit unserer Hilfe und unserem Partneranwalt gelang ihm dies jedoch problemlos und ohne Prozesskostenrisiko.
Wie ist die Skalierbarkeit, die besondere Effizienz in solchen Fällen im Vergleich zu klassischen Kanzleien?
Software. Wir haben eine eigene Software entwickelt, die den Prozess der Eingabe von Informationen potenzieller Mandanten über die Prüfung des Einzelfalls durch die Partneranwälte bis hin zur Erstellung der Klageschrift weitgehend automatisiert. Mit unserer Software benötigt der Anwalt nur zehn Minuten, um gegen einen mangelhaften Lebensversicherungsvertrag zu klagen. Die Formulierung wird fast vollständig von künstlicher Intelligenz übernommen, die Millionen von Bausteinen aus Urteilen und Beschwerden verwendet. Wir wissen, dass die Anwälte hingegen oft mehrere Arbeitsstunden für ihre Schreiben benötigen. Diese Effizienz ist einer der Gründe, warum unsere Anwälte mit den riesigen Rechtsabteilungen von Versicherungsunternehmen konkurrieren können.
Auch wenn sich Legal Techs in einigen Bereichen bereits etabliert haben, ist das Geschäftsmodell immer noch grundsätzlich Gegenstand von Prozessen. Zudem läuft ein laufendes Verfahren gegen Helpcheck, in dem eine Gegenpartei Ihnen vorwirft, rechtswidrige Rechtsberatung zu leisten.
Ja, ein konkreter Prozess im Zusammenhang mit unserem Geschäftsmodell läuft noch und ist daher noch nicht entschieden. Kurz gesagt, die Frage, was Legal Techs dürfen, wurde mittlerweile von mehreren Gerichten, darunter auch vom Bundesgerichtshof, eindeutig beantwortet. Wir bieten unsere Plattform, unsere Software an. Die Rechtsberatung selbst und ggf. die Vertretung vor Gericht erfolgt ausschließlich durch Partneranwälte.
Wo sehen Sie die Grenzen für Legal Techs?
Es gibt sehr emotionale Rechtsfragen, die durch eine individuelle Beratung durch einen Rechtsanwalt nicht ersetzt werden können: zum Beispiel in Scheidungs- oder Sorgerechtsfällen.
Max Borowski sprach mit Peer Schulz