Freitag, 23. Oktober 2020
Trump will alle amerikanischen Soldaten vor Weihnachten aus Afghanistan abziehen. Mit seiner unkoordinierten Ankündigung übt der US-Präsident großen Druck auf die NATO-Verbündeten aus. Die Situation im Land ist mit neuen Taliban-Angriffen instabil.
Laut Generalsekretär Jens Stoltenberg steht die NATO in Afghanistan vor einem Dilemma. Das Bündnis könnte entweder beschließen, Afghanistan zu verlassen, und riskieren, das Land wieder zu einem Zufluchtsort für internationale Terroristen zu machen. Die andere Möglichkeit ist, sich für einen Aufenthalt zu entscheiden, sagte Stoltenberg nach einer Videokonferenz der Verteidigungsminister. Aber dann riskieren Sie die Fortsetzung des fast zwei Jahrzehnte dauernden Engagements und der Intensivierung der Kämpfe mit den militanten islamistischen Taliban. „Dies ist ein Dilemma, dem wir uns als Bündnis gegenübersehen werden“, sagte der Norweger. „Wir werden zusammen gehen, wenn die Zeit reif ist“, fasste der NATO-Generalsekretär den unangenehmen Spagat zusammen.
Die Verteidigungsminister der NATO-Staaten diskutierten vor dem Hintergrund der Friedensgespräche in Afghanistan und der US-Rückzugspläne über die Zukunft des aktuellen Ausbildungseinsatzes – ohne jedoch Entscheidungen zu treffen. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor Unruhen in der Allianz ausgelöst, indem er angekündigt hatte, dass alle US-Truppen in Afghanistan bis Weihnachten abgezogen werden sollen. Tatsächlich sieht eine Vereinbarung mit den Alliierten vor, dass der Abzug mit der Einhaltung der Vereinbarungen über die laufenden Friedensgespräche durch die Taliban verbunden ist. Ein vollständiger Rückzug sollte daher erst Ende April 2021 angestrebt werden. Dies sieht auch ein Abkommen zwischen den USA und den Taliban vor.
Stoltenberg hat Angst vor Regression
Einige der amerikanischen Pläne für Afghanistan werden in der NATO sehr kritisch gesehen. Unter anderem besteht die Befürchtung, dass bei einem zu schnellen Abzug der Truppen Demokratie und Menschenrechte zurückfallen könnten. Die amerikanischen NATO-Partner allein können die Mission in Afghanistan jedoch nicht fortsetzen. Stoltenberg forderte die Taliban auf, das „inakzeptable Maß an Gewalt“ zu reduzieren und den Weg für einen Waffenstillstand zu ebnen.
Mindestens 20 Angehörige der afghanischen Streitkräfte sollen zuvor bei einem Nachtangriff der Taliban getötet worden sein. In Afghanistan gibt es seit über einer Woche heftige Kämpfe. Im Süden wurden nach einer Taliban-Offensive in der Provinz Helmand inzwischen mehr als 100 Zivilisten getötet und Zehntausende aus ihren Dörfern vertrieben.