Das Coronavirus verbreitet sich weiterhin schnell auf der ganzen Welt. Aber woher kommt es? Wissenschaftler auf der ganzen Welt versuchen, den Erreger aufzuspüren. Der Herkunftsort ist jedoch noch ungewiss.
Von Christian Baars und Stella Peters, NDR
Michel Schmitt sitzt vor seinem Computer und zeigt auf weiße Flecken im Bild einer Lunge. Sie sind typische Symptome der Covid 19-Krankheit. Das Erstaunliche ist, dass dieses Foto am 16. November 2019 im letzten Jahr aufgenommen wurde.
Schmitt ist Radiologe am Albert-Schweitzer-Krankenhaus in Colmar im Elsass, unweit von Freiburg. Die Region in Frankreich war im Frühjahr besonders von der Koronapandemie betroffen. Zu dieser Zeit analysierte Schmitt Hunderte von Lungenbildern von Patienten. „Mit den Erfahrungen von März und April kam mir die Idee, alle Fotos vom Sommer 2019 durchzugehen und nach atypischen Zeichen zu suchen“, sagt der Radiologe. Er fand sogar, wonach er suchte.
Am 16. November und 12. Dezember entdeckte er Hinweise auf die Covid 19-Krankheit. Zu dieser Zeit hätten sie die Patienten als „seltsame Grippefälle“ angesehen, „mit Fieber, Lungenembolie, Lungenentzündung“, sagt Schmitt. Aber das „passte nicht alles zusammen“.
Erste Koronafälle in Frankreich im November?
Könnte es sein, dass einige Leute in Frankreich bereits Mitte November Corona hatten? Schmitt ließ die Patienten anschließend auf Antikörper testen. Die Ergebnisse waren positiv. Er kann jedoch nicht ausschließen, dass sie sich inzwischen infiziert haben.
Es gibt jedoch auch andere Studien, die darauf hinweisen, dass sich das Virus mehrere Wochen oder sogar Monate verbreitet hat, bevor es Ende Dezember in Wuhan entdeckt wurde. Beispielsweise fanden Forscher in Italien und Brasilien Spuren des Erregers in gelagerten Abwasserproben, die im Dezember bzw. November entnommen wurden. Und in China selbst – die Zeitung „South China Morning Post“ berichtete vor einigen Monaten – gab es offenbar bereits Mitte November eine erste nachgewiesene Infektion.
Verstehen Sie die Wege des Virus
Seit wann hat sich das Virus tatsächlich auf den Menschen ausgebreitet? Und woher kommt es? Wissenschaftler versuchen, den Weg des Virus mit verschiedenen Methoden herauszufinden. Peter Forster nahm ebenfalls teil. Der Genetiker arbeitet in Cambridge und befasst sich normalerweise mit Veränderungen im menschlichen Genom, um herauszufinden, wann und wo sich frühe Vorfahren auf dem Planeten ausbreiten. „Ich habe in den letzten 200.000 Jahren 20 Jahre damit verbracht, die Migration von Menschen zu verfolgen“, sagt Forster. Diese Methoden sind auch ideal, um den „Viruspfad“ zu verfolgen.
Zusammen mit Kollegen, darunter sein Bruder in Kiel, analysierte er den Ausbruch des SARS-CoV-2-Coronavirus. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Pandemie wahrscheinlich zwischen Mitte September und Anfang Dezember begann – und sicherlich in China oder einem Nachbarland. Er ist nicht überrascht, dass das Virus kurze Zeit später in Europa sporadisch auftrat. Dokumentierte, spätere Fälle zeigten, wie schnell Reisende den Erreger in andere Regionen bringen könnten, sagt er.
Fledermauspathogene sind SARS-CoV-2 genetisch ähnlich
Die meisten anderen Wissenschaftler gehen ebenfalls davon aus, dass der asiatische Ausbruch in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 begann. Wann, wo und wie genau die erste Person infiziert wurde, ist noch unklar. „Es gibt viele Hinweise darauf, dass der Erreger aus einem Fledermausreservoir in Südchina stammt“, sagte Thomas Mettenleiter, Leiter des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit. Laut Mettenleiter wurden in bestimmten Fledermäusen in Südchina genetisch ähnliche Krankheitserreger wie das neue SARS-CoV-2-Virus gefunden. Das ist ein Hinweis, aber noch kein Beweis für seine Herkunft.
Laut einer Studie eines internationalen Wissenschaftlerteams, die Ende Juli in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, zirkulieren Viren, die eng mit SARS-CoV-2 verwandt sind, seit Jahrzehnten in Hufeisenfledermäusen. Und diese Krankheitserreger haben Eigenschaften, die es ihnen ermöglichen, menschliche Zellen zu infizieren. Dies bedeutet, dass bei Kontakt zwischen Tieren und Menschen die Viren überspringen und sich möglicherweise so verändern können, dass sie sich unter Menschen weit verbreiten können.
Die Forscher können jedoch nicht sagen, wann und wo dies während des aktuellen Ausbruchs tatsächlich passiert ist. Sie weisen darauf hin, dass die Hufeisenfledermaus in verschiedenen Regionen Chinas und in Nachbarländern weit verbreitet ist.
Es ist schwierig, geeignete Proben zu erhalten
Selbst für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Fragen zu ihrer Herkunft noch nicht geklärt. Ein Wissenschaftlerteam sollte daher vor Ort weiter forschen. Zwei Experten, ein Tierarzt und ein Epidemiologe, waren im Juli in China. Sie müssen die mögliche Infektionsquelle genauer untersuchen. WHO-Chef Tedros Ghebreyesus sagte Anfang August, dass diese Mission bald beginnen sollte. Wann genau ist noch unklar – und auch ob es funktionieren wird.
Auf jeden Fall ist Thomas Mettenleiter vom FLI skeptisch, ob jemals zuverlässig nachgewiesen werden kann, wann und von welcher Art das Virus zum Menschen gelangt ist. Die Suche nach Hinweisen ist an dieser Stelle besonders schwierig, „weil wir eine menschliche Pandemie haben“, sagt Mettenleiter.
Der Erreger ist „jetzt praktisch überall verbreitet“. Und das heißt: Auch wenn es möglich ist, die Viren in der Natur zu erkennen, muss zunächst geklärt werden, ob es sich nicht um Wiedereinführungen infizierter Personen handelt, sagt Mettenleiter. Es ist daher am besten, Proben zu untersuchen, die vor Ausbruch der Pandemie entnommen wurden. Es ist ungewiss, ob die Wissenschaftler finden, wonach sie suchen.