Da die Grünen sowohl das deutsche Landwirtschafts- als auch das Umweltministerium leiten, erwarten viele, dass das Land dem erwarteten Druck der Kommission widerstehen wird, neue genomische Techniken (NGTs) zu deregulieren. Doch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir weigert sich bisher, Partei zu ergreifen.
Gemäß der neuesten Agenda der Europäischen Kommission wird die EU-Exekutive Anfang Juni dieses Jahres ihre lang erwartete Entscheidung darüber treffen, ob die EU-Vorschriften zur Genbearbeitung gelockert werden sollen oder nicht.
Der Begriff NGTs – oder New Plant Breeding Techniques (NBTs) – beschreibt eine Reihe wissenschaftlicher Methoden zur Veränderung von Genomen mit dem Ziel, bestimmte Eigenschaften von Pflanzen, wie z. B. Dürretoleranz, gentechnisch zu verändern.
Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass die Kommission eine solche Deregulierung unterstützen könnte. Zuletzt schlug es vor in einem Brief an den EU-Gesetzgeber sowie in einem neueren Studie über Ernährungssicherheit dass NGTs dazu beitragen könnten, den Schlag von Klima- und Umweltmaßnahmen wie der vorgeschlagenen Reduzierung des Pestizideinsatzes um 50 % bis 2030 abzumildern.
Mit Schlüsselministerien in den Händen der Grünen, die historisch für ihre überzeugten Gegner der Gen-Editierung bekannt sind, könnte die deutsche Regierung zu einem der einflussreichsten Gegner eines möglichen Vorstoßes für eine Deregulierung auf EU-Ebene werden – zumindest theoretisch.
In der Praxis schließt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir eine Liberalisierung der Gen-Editing-Regeln nicht aus.
Landwirtschaftsminister unverbindlich
„Ich recherchiere persönlich, informiere mich und bilde mir meine eigene Meinung dazu“, sagte er, als er am Dienstag (17.1.) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Lemke in Berlin zu dem Thema befragt wurde.
Er warnte jedoch davor, die Sofortmaßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Landwirtschaft zugunsten eines „Heilversprechens bis weit in die Zukunft“ zu vernachlässigen, das das Potenzial von NGTs zur Erhöhung der Ernährungssicherheit biete.
Umweltministerin Steffi Lemke sprach sich dagegen klar gegen eine Liberalisierung genomischer Verfahren aus.
„Ich finde die jetzige Regelung genau richtig, weil sie das Vorsorgeprinzip wahrt“, sagte sie auf der Pressekonferenz und fügte hinzu, es bestehe „kein Bedarf für eine weitere Überarbeitung“.
Das Vorsorgeprinzip bedeutet, dass die Verwendung eines bestimmten Produkts, einer Substanz oder einer Technologie – wie etwa bestimmter genomischer Techniken oder gentechnisch veränderter Pflanzen – nur dann erlaubt werden kann, wenn nachgewiesen wurde, dass sie keine negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur haben.
Kritiker befürchten, dass dieses Prinzip nicht eingehalten wird, wenn die EU weiterhin neue Genomik-Techniken dereguliert.
„Genomik-Techniken können natürlich auch negative Folgen für die Landwirtschaft haben: Sie können zu unbeabsichtigten Effekten führen, wenn Pflanzen mit Resistenzen ausgestattet werden, die dazu führen, dass die Biodiversität geschädigt statt geschützt wird“, betonte Lemke.
Liberale als Tiebreaker
Seit ihrem Amtsantritt und erneut auf der Konferenz am Dienstag haben Özdemir und Lemke versucht, Einheit auszustrahlen, indem sie betonten, dass mit dem Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt in den Händen einer einzigen Partei Landwirtschaft und Naturschutz zusammenpassen können.
Das Thema Gen-Editierung verdeutlicht jedoch nicht nur Unterschiede zwischen den Ansätzen der beiden Ministerien, sondern auch innerhalb der Grünen.
Der linke Flügel, aus dem Lemke stammt, und ein Großteil der Parteibasis sind entschiedene Gegner der Gen-Editierung, während die Pragmatiker innerhalb der Partei, vertreten durch Özdemir, Kompromisse innerhalb der Koalition und der EU bevorzugen.
Ob und wie stark sich Deutschland einer Deregulierung widersetzen würde, könnte also davon abhängen, wer zwischen den beiden Ministern die Nase vorn hat. Hier haben die Liberalen (FDP), einer der beiden Koalitionspartner der Grünen, starke Gefühle in der Frage und könnten möglicherweise als Tiebreaker fungieren.
Obwohl sie keines der relevanten Ministerien innehaben, haben Vertreter der FDP sehr stark dafür plädiert, dass genomische Verfahren dereguliert werden müssen, um technologische Fortschritte für die Ernährungssicherung zu nutzen.
Mit neuen Züchtungstechnologien „können wir die Erträge steigern, ohne die Nachhaltigkeit zu gefährden“, so die stellvertretende Parteivorsitzende Carina Konrad. sagte früher diesen Monat.
[Edited by Gerardo Fortuna/Nathalie Weatherald]