Die Europäische Kommission (EC) hat eine Kartellstrafe in Höhe von 875 Mio. Daimler konnte ein Bußgeld in Höhe von 727 Mio. Vor allem hat die EG den Unternehmen nicht „klassische“ Kartellpraktiken wie Preisabsprachen, Marktaufteilung oder Kundenaufteilung angeklagt, sondern erstmals in ihrer Entscheidungspraxis heimlich Beschränkungen der technischen Entwicklung vereinbart. Dies könnte tiefgreifende Auswirkungen auf viele Unternehmen haben, die an der industriellen Zusammenarbeit bei innovativen Technologien beteiligt sind.
Die Autohersteller hatten eine Arbeitsgruppe unter dem Dach von Industrieverbänden gegründet, um über Technologien zur Beseitigung der schädlichen Stickoxid-(NOx-)Emissionen von Diesel-Pkw zu diskutieren. Die EK stellte fest, dass die Teilnehmer zugestimmt hatten, bei der Bereitstellung saubererer Technologien für die Verbraucher als gesetzlich vorgeschrieben nicht miteinander zu konkurrieren. Konkret hatten die Automobilhersteller über standardisierte Tankgrößen und Reichweiten für AdBlue-Tanks (mit Harnstoff zur Entfernung von NOx-Emissionen) diskutiert und sich auf den durchschnittlichen AdBlue-Verbrauch geeinigt. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sie sensible Informationen über diese Elemente ausgetauscht hatten, wodurch die Unsicherheit über das zukünftige Verhalten des anderen beseitigt wurde.
Die Automobilhersteller behaupten, dass die Ergebnisse der Diskussionen nie in die Praxis umgesetzt wurden und daher den Wettbewerb nicht beeinflussen konnten. Dies wurde jedoch von der EG als irrelevant erachtet, die das Verhalten als „bezweckte“ Wettbewerbsrechtsverletzung einstufte, wodurch der Nachweis solcher Auswirkungen entfällt (ähnlich wie bei „per se“-Verstößen nach US-Kartellrecht).
Das europäische Kartellrecht (Artikel 101 AEUV) verbietet ausdrücklich Vereinbarungen, die: „Produktion, Märkte, technische Entwicklungoder Investitionen.“ Dennoch ist die Verfolgung von Unternehmen, die sich bereit erklären, technische Innovationen zurückzuhalten, bahnbrechend mit potenziell weitreichenden Auswirkungen weit über die Automobilbranche hinaus. Alle Unternehmen, die sich mit Normungsbemühungen oder anderen technischen Kooperationen mit Auswirkungen auf die EU befassen, möchten möglicherweise ihre Einhaltungsstandards überprüfen.
Die EG ist sich bewusst, dass sie auf dem Grat zwischen der Gewährleistung des Wettbewerbs und der Hemmung technischer Innovationen durch die Schaffung von Unsicherheit balanciert, auch in Industrien, die ihre Umweltauswirkungen verringern wollen. Die Behörde kündigte daher an, ein Begleitschreiben an die Automobilhersteller zu veröffentlichen, um eine kartellrechtskonforme technische Zusammenarbeit sicherzustellen. Gleichzeitig fügte Kommissar Vestager schnell hinzu, dass die Entscheidung die Fähigkeit der Unternehmen zur gemeinsamen Lobbyarbeit nicht untergräbt: „Man darf Lobbyarbeit betreiben, und man kann auch gemeinsam Lobbyarbeit leisten.“1
Auffallend ist, dass auch die EK bei ihrer Feinkalkulation die Gratwanderung gewählt hat. In einem beispiellosen Schritt gewährte die Behörde allen Kartellbeteiligten eine 20-prozentige Ermäßigung der Geldbußen aufgrund fehlender bisheriger Entscheidungspraxis zur Verfolgung dieses Kartellverhaltens. Dies weicht einerseits von der bisherigen Praxis der EG in „Neuheitsfällen“ ab, symbolische Geldbußen zu verhängen2 oder gar keine Bußgelder verhängen,3 Schaffung einer dritten Art von „Neuheitsrabatt“. Auf der anderen Seite gelingt es der Behörde, mittags und auch zu essen, indem sie den Neuheitsrabatt gewährt, obwohl sie auch argumentiert, dass die Rechtswidrigkeit des Verhaltens wortwörtlich und sogar kartellrechtswidrig bezweckt, d. h. durch seine Natur.
Alle mit Geldbußen belegten Autohersteller hatten die Angelegenheit mit der EU beigelegt, können aber bis Mitte September gegen die Entscheidung bei EU-Gerichten Berufung einlegen.
[1] Zitat aus MLex Insight, EU-Richtlinien für deutsche Autohersteller zur Technischen Zusammenarbeit werden veröffentlicht, sagt Vestager, veröffentlicht am 8. Juli 2021. [2] Siehe die EG-Richtlinien zur Methode der Bußgeldfestsetzung, PB 2006 C 210/2, Rn. 36. [3] Siehe zB EC, Fall AT.39985 – Motorola – Enforcement of GPRS SEPs, Rdnr. 561, in dem die EG aufgrund der fehlenden EU-Entscheidungspraxis und der unterschiedlichen Behandlung von SEPs durch die nationalen Gerichte keine Geldbuße verhängte.