Freitag, 11. September 2020
Von Diana Dittmer
Die ersten Modelle der ID.3 sind spät, aber sie sind hier. Das neue Elektroauto wurde vielfach kritisiert, aber auch optimistisch: Bis Ende des Jahres könnte Volkswagen in Europa Marktführer für Elektrofahrzeuge sein und in drei Jahren Tesla weltweit überholen.
Es ist fertig. Volkswagen hat seine erste ID.3 mit großer Verzögerung an Kunden in Dresden und Wolfsburg übergeben. Es war eine schwierige Lieferung. Mit der Markteinführung des mit Abstand wichtigsten Modells der Gruppe kann der elektrische Turnaround endlich beginnen. Nach Angaben des Unternehmens wurden bisher mehr als 25.000 Exemplare der Erstausgabe verkauft, die auf 30.000 Fahrzeuge limitiert ist.
CEO Herbert Diess muss entlastet werden. Volkswagen hat auf seinem entschlossenen Weg ins Elektrozeitalter einen wichtigen Etappensieg errungen. Der Erfolg oder Misserfolg seiner E-Strategie wird nichts weniger als seine Position in Wolfsburg bestimmen. Der 61-Jährige hat alles auf eine Karte gesetzt. In den ID.3, den kompakten SUV ID.4 und den elektrischen Bulli ID.Buzz sind bereits enorme Mengen geflossen – für die gesamte Gruppe werden es bis 2024 insgesamt 33 Milliarden Euro sein.
Ziel ist es, Marktführer im Bereich Elektromobilität zu werden und künftig den Elektropionier Tesla einzuholen. Ist das realistisch? Schließlich gab es Bedenken: Die ID.3 wird noch lange auf sich warten lassen, anstatt im Sommer auf den Markt zu kommen, wird sie erst im September verfügbar sein. Aber Diess ‚Versuch, den Elektropionier Elon Musk auf einer Spritztour vom Auto zu überzeugen, wird nicht gelobt. Diess selbst muss die Erwartungen des Multimilliardärs lindern: Der ID.3 ist ein „normales Auto, kein Rennwagen“, erklärt er vor der Kamera in einem Video, das später im Internet veröffentlicht wird.
Und nicht zuletzt hat auch das neue Elektroauto, das das in Wolfsburg ansässige Unternehmen Tesla gleichstellen sollte, einen Test der Fachpresse nicht bestanden. „Sprühdosig“ und „Verhau“ heißt es auf einen Schlag. Das rein batteriebetriebene Auto überzeugt durch sein Fahrverhalten, aber im Bereich der Elektronik besteht „erheblicher Verbesserungsbedarf“. Das Navigationssystem war begrenzt und andere Online-Dienste funktionierten überhaupt nicht. Das Finish lässt auch zu wünschen übrig, es ähnelt nicht einmal bewährten Modellen wie dem Golf, schreibt „Auto, Motor, Sport“. Am Anfang hätte es nicht schlimmer sein können.
„Elektrischer Ausleger mit angezogener Handbremse“
Dies ändert aus Sicht der Experten nichts daran, dass die Strategie des größten deutschen Automobilherstellers weiterhin gültig ist. Laut einer Studie des Chemnitz Automotive Institute holt Volkswagen in Sachen Elektromobilität auf. Nach Berechnungen der Autoren wird die Gruppe bis Ende 2020 Marktführer in Europa sein. „Bis 2025 werden rund 40 Prozent der in Europa produzierten Elektroautos von Marken des Volkswagen Konzerns stammen“, heißt es in der Studie.
Volkswagen profitiert eindeutig von der vom Staat beschlossenen Verlagerung von der Verbrennung zur Elektromobilität, die durch die Auswirkungen der Koronapandemie noch verstärkt wird. Beide haben tiefe Spuren hinterlassen. Die Nachfrage nach Autos in Europa wird im Krisenjahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um drei Millionen oder mehr als 20 Prozent sinken. Gleichzeitig hat der Anteil der Neuzulassungen von vollelektrischen Autos deutlich zugenommen. Im ersten Halbjahr verzeichnete der Stromer ein Plus von 30 Prozent. Die Umfrage erwartet sogar eine Steigerung von 66 Prozent für das gesamte Jahr. Die absoluten Zahlen sind noch klein. Die Experten gehen davon aus, dass die Entwicklung weiter an Fahrt gewinnen wird. „Es handelt sich um einen elektrischen Ausleger mit angezogener Handbremse, der 2021/2022 schrittweise freigegeben wird“, sagen die Autoren.
Auch der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer ist von der in Wolfsburg ansässigen E-Strategie überzeugt. Es gibt auch viel, was für die ID.3 spricht. Im Vergleich zu früheren E-Autos der Mittelklasse ist die Grundausstattung relativ kostengünstig und muss auch längere Strecken zurücklegen können. Darüber hinaus nutzen Tochterunternehmen wie Audi, Skoda oder Seat dieselbe Plattform: Das MEB-Kit bildet die Basis für viele zukünftige Modelle.
„Der ID3 ist die Zukunft von VW“
Für einen Raketenstart im Zeitalter der Elektromobilität reicht das aber nicht aus. Diess musste zugeben, dass Verbesserungen notwendig sind. Weltweit wird Volkswagen noch einige Jahre brauchen, bis es mit Tesla mithalten kann. Es ist „sehr unwahrscheinlich, dass VW bis Ende 2020 Weltmarktführer wird“, sagt Dudenhöffer ntv.de. Die Produktionskapazität des US-Konkurrenten liegt bei rund 700.000, „das kann VW nicht.“ „Die ID.3 hat gerade begonnen und wir wissen noch nicht, wie die ID.4 funktionieren wird.“ Außerdem muss Volkswagen jetzt die Produktion steigern und Kunden gewinnen.
Nach Dudenhöffers Berechnungen hat Tesla allein im Bereich der Entwicklung von Elektrofahrzeugen einen Vorsprung von rund zwei Jahren. Mit Software oder IT sind es sogar fünf Jahre. Tesla ist der einzige Hersteller von E-Fahrzeugen, der Updates für seine Fahrzeuge „on air“ außerhalb der Werkstätten installieren kann. Tesla hat speziell dafür einen Chip hergestellt.
Bevor Volkswagen Tesla überholen kann, könnte es „bis zu drei Jahre“ dauern, prognostiziert Dudenhöffer. Diess gelang es jedenfalls, die Lücke zu schließen. „Die ID.3 ist die Zukunft von VW.“ Aber Tesla wird sich in der Zwischenzeit auch nicht ausruhen. „In fünf bis zehn Jahren wird Tesla so groß sein wie BMW oder Daimler“, fährt der Autoexperte fort. Diess hat einen „tollen Job“ gemacht. Dudenhöffer traut sich nicht zu sagen, ob sein Arbeitsplatz sicher ist. Die ewige Krankheit von Volkswagen ist die Struktur, die Macht des Landes Niedersachsen und der Union. Sie konnte Diess jederzeit vereiteln.