Griechenland und die Türkei sprechen vorerst nicht über umstrittene Seegebiete und Gasreserven. Stattdessen werden die Forderungen nach Sanktionen gegen Ankara wieder lauter. Berlin versucht zu vermitteln und vor allem Zeit zu gewinnen.
Von Thomas Bormann, ARD Studio Athene
Heiko Maas ist immer wieder nach Ankara, Athen und Nikosia gereist. Der Bundesaußenminister will im Streit um Gebiete, Rohstoffe und Bergbaurechte im östlichen Mittelmeer vermitteln. Letztendlich deuteten die Zeichen tatsächlich auf Entspannung hin.
Doch kurz vor einem Durchbruch täuschte die Türkei Maas ‚Vermittlungsbemühungen und löste Anfang dieser Woche eine erneute Eskalation des Erdgasstreits aus.
Denn das türkische Forschungsschiff „Oruc Reis“ ist erneut vor Anker gegangen und wird von Kriegsschiffen in Gewässern der Ägäis begleitet, die Athen und Ankara gleichermaßen beanspruchen.
„Kein Dialog mit der Türkei“
Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis fühlt sich von der türkischen Regierung betrogen. Denn am vergangenen Donnerstag haben die Außenminister beider Länder, Dendias und Cavusoglu, Sondierungsgesprächen zur Beilegung des Streits zugestimmt.
„Aber anstatt einen Termin für diese Gespräche vorzuschlagen, schickt die Türkei ein weiteres Forschungsschiff“, grummelte Mitsotakis während Maas ‚Besuch in Athen am Dienstag dieser Woche und machte deutlich: „Unter diesen Umständen können wir offensichtlich keinen Dialog aufnehmen.“
Außenminister Maas stimmte seinem Gastgeber zu. Später am Abend wurde die Maas in der griechischen Hauptstadt klarer. Er war „äußerst schockiert“ über die Provokation der Türkei.
Bereit, mit Bedingungen zu verhandeln
Griechenland hat wiederholt betont, dass es mit der Türkei zusammenarbeiten möchte, um die Seegrenzen auf beiden Seiten im östlichen Mittelmeerraum zu definieren. Athen möchte klären, welches Seegebiet zur Türkei und welches zu Griechenland gehört. Dann gäbe es keine Argumente mehr darüber, wem die natürlichen Ressourcen in welchem Teil des Mittelmeers gehören.
Griechenland ist jedoch nicht bereit für den Dialog, wenn die Türkei gleichzeitig Forschungsschiffe und Kriegsschiffe in von Athen beanspruchte Gebiete entsendet. Premierminister Mitsotakis ist empört, dass es reine Provokation ist.
Es verstößt auch gegen internationales Recht und ist daher illegal, sagt Constantinos Filis vom Athener Institut für internationale Beziehungen. Deshalb fordert Griechenland Sanktionen gegen die Türkei. Athen fordert strenge Wirtschaftssanktionen, um die türkische Regierung zum Nachgeben zu zwingen.
Nikosia will auch Sanktionen
Das EU-Land Zypern fordert seit Monaten solche Sanktionen, weil sich die Republik Zypern auch von der Türkei provoziert fühlt. Die Türkei untersucht auch mögliche Erdgasreserven vor der Küste Zyperns. Das türkische Schiff „Yavuz“ bohrte seit Monaten im Meeresboden nach Gas. Dies geschah in einem Gebiet, das die Republik Zypern zur „ausschließlichen Wirtschaftszone“ erklärt hat.
Dies ist eine Verletzung der Grenze zu Zypern und damit auch eine Verletzung der Außengrenze der EU, sagt der Sprecher der zyprischen Regierung, Kyriakos Kushos. Und er bemerkt bitter: „Bis jetzt haben wir nicht gesehen, dass die Europäische Union ihre Grenze wirklich verteidigt.“
Zypern fühlt sich von den anderen EU-Ländern verlassen und fordert nachdrücklich Sanktionen gegen die Türkei. Um Druck auszuüben, hatte Zypern die Sanktionen gegen Belarus im EU-Rat wochenlang blockiert und seine Genehmigung von Sanktionen abhängig gemacht, die auch gegen die Türkei verhängt wurden.
Berlin tritt auf die Strafbremse
Außenminister Maas konnte seine Meinung erst auf dem EU-Gipfel Anfang dieses Monats gegenüber seinem zypriotischen Amtskollegen Nikos Christodoulides ändern. Die Kompromissformel lautete: Die EU wird der Türkei zunächst keine Sanktionen auferlegen, aber das droht, wenn die Türkei erneut provoziert.
Die Türkei hat jetzt wieder provoziert, aber die deutsche Präsidentschaft des EU-Rates will an dieser Stelle Sanktionen vermeiden. Es würde zu viel auf dem Spiel stehen, wenn sich die EU auf eine Konfrontation mit der Türkei einlassen würde. Sanktionen würden auch EU-Länder treffen, die mit der Türkei handeln, insbesondere Deutschland.
Berlin befürchtet auch, dass die Türkei als Partner keine Lösungen für die Flüchtlingspolitik finden würde. Stattdessen könnte die Türkei erneut Hunderttausende Flüchtlinge an die Grenze zur EU schicken und neue Krisen auslösen.
Sorgen Sie sich um die zunehmende Entfremdung
Darüber hinaus könnte der Entfremdungsprozess zwischen der Türkei und der EU intensiviert werden. Die Türkei könnte sich weiter vom Westen abwenden und damit ihre Brückenfunktion dauerhaft verlieren.
Und schließlich könnte der Streit um die Erdgasreserven im östlichen Mittelmeerraum außer Kontrolle geraten und in einem militärischen Austausch zwischen Griechenland und der Türkei enden.
Um all dies zu verhindern, appelliert Maas an Griechenland und Zypern, trotz der türkischen Provokationen bis zum EU-Gipfel im Dezember keine Sanktionen zu fordern.
Der Außenminister möchte acht Wochen Zeit haben, um die Türkei ohne Provokation wieder auf den Weg des Dialogs zu bringen. Die Regierungen in Athen und Nikosia sind jedoch äußerst skeptisch. Es ist schwer vorstellbar, wie Maas das machen wird.