J.Über Jahrhunderte war die Menschheit nur auf eine Energiequelle angewiesen. Nach der Verbrennung von Holz wurde Kohle zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum weltweit dominierenden Energieträger. Dann kam das Öl und damit der Verbrennungsmotor, der Petrodollar, die Kriege um die Schwarzen Gold.
Tempi passati. Das war eine Zeit, denkt Bernard Looney. Der General Manager des britischen Energieriesen BP erklärt das Ölalter für beendet. In einem Zeitraum von 30 Jahren dürfte der Anteil fossiler Brennstoffe Kohle, Gas und Öl mehr als die Hälfte betragen, so der neue „World Energy Outlook“, den der Unternehmensleiter in London vorgelegt hat. Eine neue Ära bricht an.
Zum ersten Mal wird die Menschheit mit einer farbenfrohen Mischung verschiedener Quellen versorgt, darunter Wind und Sonne, Erdgas, Kernenergie, Wasserstoff und zumindest vorübergehend Kohle und Öl. „In Zukunft geht es nicht mehr um die Verfügbarkeit einer einzigen Energiequelle, sondern um die Wahl des Verbrauchers“, so der BP „Energy Outlook“. Das Ergebnis: Stärkerer Wettbewerb zwischen Energiequellen – mit potenziell sinkenden Preisen für die Verbraucher.
Elektromobilität treibt den Trend an
Der „World Energy Outlook“ von BP genießt weit über die Branche hinaus ein hohes Ansehen für seine erste empirische Datenerfassung. Der Bericht wird daher von vielen Regierungen als Grundlage für die Planung der Energiepolitik verwendet. Insbesondere in Ölhauptstädten wie Moskau, Riad, Washington und Caracas sollte die aktuelle Zeitung Aufmerksamkeit erregen – denn zum ersten Mal gibt ein bedeutender Akteur der Branche eindeutig an, dass sich der globale Ölmarkt nach der Koronapandemie nie wirklich erholen wird.
Die BP-Experten unter der Leitung von Chefökonom Spencer Dale vergleichen drei verschiedene Szenarien: Das „Rapid“ -Szenario setzt verstärkte Anstrengungen im Umwelt- und Klimaschutz voraus. Danach wird der CO2– Die Emissionen werden bis 2050 um etwa 70 Prozent sinken und die globale Erwärmung wird bis zum Ende des Jahrhunderts auf weniger als zwei Grad Celsius begrenzt sein.
Darüber hinaus berechnet das Szenario „Netto-Null“, was es bedeutet, bis 2050 eine weitreichende Dekarbonisierung zu erreichen. Die Bundesregierung hat sich nun auch diesem sogenannten 1,5-Grad-Ziel verschrieben. Im Gegensatz dazu zeigt das Szenario „Business as usual“, wie sich der globale Energiemarkt entwickeln wird, wenn das Tempo der klimapolitischen Entwicklungen so langsam wie bisher bleibt.
Bemerkenswerterweise wird die weltweite Ölnachfrage auch im unambitionierten „Business as usual“ -Szenario von nun an nicht mehr wachsen – und von derzeit rund 100 auf 95 Millionen Barrel (159 Liter) pro Tag bis 2050 leicht sinken. Im mittelschnellen Szenario einer ehrgeizigeren Klimapolitik halbiert sich die weltweite Ölnachfrage auf fast 55 Millionen Barrel.
In dem von Klimaschutzern als notwendig erachteten Szenario von 1,5 Grad würde die Nachfrage nach Öl bis 2050 sogar auf 30 Millionen Barrel sinken. In jedem Fall sind die Zeiten des ständig wachsenden Ölbedarfs bereits vorbei.
Über die absehbare Entwicklung hin zur Elektromobilität hinaus stellen sich die BP-Experten einen Trend vor, der am Hauptsitz von Tesla stattfinden wird. VW und co. könnte jemals Kopfschmerzen verursachen. Elektroautos werden voraussichtlich bis 2050 80 bis 85 Prozent der Privatfahrzeuge ausmachen. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass viele Elektroautos in Zukunft in Privatbesitz sein werden.
Der Verkehr der Zukunft wird wahrscheinlich stark von selbstfahrenden „Robotertaxis“ abhängen. Da die durchschnittliche Auslastung von Mietwagen neunmal so hoch ist wie die von Privatwagen, sollte deren Nutzung äußerst attraktiv werden. Nach dem „World Energy Outlook“ sollen elektrische Robotertaxis bis 2035 bereits 40 Prozent aller Fahrzeugkilometer ausmachen.
Die Bedeutung der Kernenergie nimmt zu
BP sieht keine elektrische Alternative zur Luftfahrt. Die Energiedichte von Wasserstoff ist auch zu niedrig, um Flugzeuge fliegen zu können. Das Energieunternehmen erwartet daher einen Boom für Biokerosin. Im Jahr 2050 wird der Anteil von Biokraftstoff am Düsentreibstoff von derzeit weniger als einem Prozent auf mehr als 30 Prozent steigen. Bei dem anspruchsvollen 1,5-Grad-Ziel für den Klimaschutz müsste die Luftflotte mit 60 Prozent Biokraftstoffen tanken.
Die derzeitige Elektrifizierung aller Wirtschaftssektoren wird nach Ansicht der BP zu einem starken Wachstum erneuerbarer Energiequellen wie Wind- und Solarenergie führen. Der Energiebedarf der Welt wächst aufgrund des zunehmenden Wohlstands weiter. Mit fünf- bis siebenmal höheren Wachstumsraten bauen erneuerbare Energien ihren Marktanteil in jedem der drei Szenarien rasch aus – und dies am schnellsten in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Gleichzeitig wird die Bedeutung der Kernenergie weltweit weiter zunehmen. In den beiden Klimaschutzszenarien wird sich die Kernenergieerzeugung bis 2050 mit dem anspruchsvollsten CO verdoppeln2Erhöhen Sie die Ziele um 160 Prozent. Allein in China wird der Anteil der Kernenergie von vier auf fünfzehn Prozent steigen.
Dies deutet auch auf eine regionale Gewichtsverlagerung auf dem Energiemarkt hin: Fast die gesamte zusätzliche Nachfrage bis 2050 wird aus Schwellenländern kommen, prognostizieren BP-Marktbeobachter. Während sie heute etwa 50 Prozent des weltweiten Energiebedarfs ausmachen, werden es bis 2050 70 Prozent sein. In allen Szenarien bleibt China der größte Energiemarkt der Welt und macht allein rund 20 Prozent der weltweiten Nachfrage aus.
BP bereitet sich mit einem radikalen Strategiewechsel auf diese Marktentwicklung vor. Die Gruppe, deren Abkürzung für Britisches Erdöl Staat, will nicht länger ein Öl multinational sein. BP will sich als „integrierter Energiedienstleister“ neu erfinden. „Wir verwandeln BP in eine ganz andere Art von Unternehmen“, sagte Looney, „nicht über Nacht, sondern schnell.“ Sie müssen innerhalb der nächsten zehn Jahre „auftreten“.
Fünf Milliarden Dollar für Unternehmensumstrukturierungen
BP hatte bereits 2002 versucht, die Interpretation des Firmennamens zu ändern: BP stand manchmal auch für „bessere Menschen“, „bessere Produkte“ und „mehr als Erdöl“ – was sich auf eine Zeit „jenseits von Erdöl“ bezog. Der Weg in die neue Ära der erneuerbaren Energien erwies sich jedoch als holprig. Im Jahr 2011 wurde BP Solar, einer der führenden Photovoltaikkonzerne, nach 35 Jahren aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen.
Jetzt sieht das Top-Management rund um den Amerikaner Looney Zeit für einen neuen Versuch. Looney war gerade deshalb optimistisch, weil der zukünftige Energiemix so fragmentiert sein wird, dass Unternehmen die Möglichkeit haben, die verschiedenen Technologien zu integrieren und sinnvoll zu kombinieren. Natürlich nur auf ökologische Weise. Es gibt keine Tabus mehr: BP will die britische Regierung sogar dabei unterstützen, Autos durch Verbrennungsmotoren zu ersetzen und die Elektromobilität zu erhöhen. Dies könnte weit vor dem geplanten Zieljahr 2040 geschehen, sagte der BP-Chef.
Bis 2030 will BP die Öl- und Gasförderung um 40 Prozent reduzieren. Stattdessen möchte Looney in CO investieren2– teure Technologien haben sich verzehnfacht und die Kapazität zur Erzeugung von Ökostrom um das Zwanzigfache auf 50 Gigawatt erhöht. Fünf Milliarden Dollar pro Jahr sollten in die Unternehmensumstrukturierung fließen.
Zu Beginn kündigte BP eine Milliarden-Dollar-Partnerschaft mit dem norwegischen Unternehmen Equinor bei der Entwicklung von Offshore-Windparks an. Die Netto-CO2-Emissionen der Gruppe werden voraussichtlich bis 2050 auf Null sinken. Die sogenannte Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS), ein Prozess, bei dem große Mengen an CO2 gefiltert und in tiefen Schichten der Erde gespeichert.