V.Oder vor anderthalb Jahren erhielt Idil Baydar die erste Drohung auf ihrem Handy: „Verpiss Deutschland, solange du noch lebend ausgehen kannst !!!“, schrieb einer, der sich „SS Obersturmbannführer“ nannte. Er hatte auch Beleidigungen parat.
Livia Gerster
Herausgeber in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Philip Eppelsheim
Herausgeber in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Baydar war nicht besonders schockiert. Es wird verwendet, um zu hassen. Vor allem als Kabarettistin bringt sie die Menschen nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Nachdenken. „Wallah, reden Sie über eine Terroristengruppe? Das Jobcenter – das ist eine Terroristengruppe, ok!“, Neckt sie zum Beispiel die in Kreuzberg lebende Türkin Jilet Ayse über Belästigung Jobaustausch im. Und als pensionierte Neukölln Gerda Grischke zieht es sie zu Ausländern, gegen die sie natürlich nichts hat – „im Ausland! Aber sehr gut zu Hause!“
Mit viel gutem Willen schaut Baydar immer auf Ayses und Gerdas an diesem Ort, auf alles, was sie trennt, und verbindet sie dann wieder. Mit Sorge und Wut beobachtet sie auch alles, was in diesem Land passiert: NSU, Halle, Hanau. Die Drohbriefe eines „NSU 2.0“ an ihre Freundin, die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, trieben sie ebenfalls weg.
Als zehn Tage nach der ersten Nachricht, am Tag des Angriffs auf Christchurch, eine weitere SMS in Baydar eintraf, diesmal mit der klaren Drohung, sie und ihre Mutter „wie heute in Neuseeland“ zu „töten“ war neu für Baydar Quality. Es war eine Sache für jemanden, seine Handynummer zu haben. Aber jetzt war sogar der Name ihrer Mutter da.
Baydar hat die Neuigkeiten auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht. Sie hatte ein „langweiliges Gefühl von Scheiße“, schrieb sie, „dass Fälle wie die Polizei … mir nicht helfen können oder wollen.“ Immer wieder denkt sie an die Opfer von NSU, sie hat immer wieder den Gedanken im Kopf: „Selbst wenn Sie von NSU 2.0 erschossen würden, würden sie sicherlich nichts anderes tun, als meine Großmutter zu beschuldigen, sie in Stücke zu reißen alle Akten und eine Verhandlung vergebens. loslassen „
Betreff: „Deutschland muss verlieren“
Dies war im März 2019. Seitdem hat sie Post vom „Obersturmbannführer“, „NSU 2.0“ oder „Führer“ erhalten. E-Mail, Fax, SMS. Nur diese Woche wieder. Thema: „Heil Hitler, du fette Fotze“ oder auch: „Deutschland muss verlieren.“ Dies ist der Name eines Buches des Amerikaners Theodore Newman Kaufman aus dem Jahr 1941. Er befürwortete die Sterilisation der Deutschen. Die Nationalsozialisten verwendeten sein Buch, um die Ausrottung der Juden als Selbstverteidigung darzustellen. Bereits in den 1980er Jahren schrieb der Historiker Wolfgang Benz: „Kaufmans Buch steht wieder im Dienst der antisemitischen Agitation, ähnlich den ominösen Protokollen der Weisen von Zion.“
Manchmal gehen Drohbriefe speziell an Baydar, manchmal an eine Reihe von Frauen. Und der Autor vergisst fast nie, dem Zentralkomitee weitere Adressaten hinzuzufügen: den hessischen Ministerpräsidenten, zum Beispiel die Pressestelle der Staatsanwaltschaft oder den neuen Sonderermittler in Frankfurt. Er scheint mit den E-Mail-Adressen von Journalisten nicht sehr vertraut zu sein, daher handelt es sich nur um einige wenige Hinweise. Noch mehr bei der Polizei: So landet beispielsweise eine E-Mail in der Staatssicherheitsabteilung der Staatlichen Kriminalpolizei in Berlin, Abteilung 53: politisch motiviertes Verbrechen von rechts.
Die Buchstaben sind tränenreich mit Ausrufezeichen, vulgärem Missbrauch und sexuellen Gewaltphantasien. Der Hass auf Frauen und Migranten spricht aus allen Bereichen. Und immer wieder, in einem Perspektivwechsel, war so etwas wie Selbstzorn über die „schmutzigen Deutschen“ und „ihre Kartoffelkultur“ zum Scheitern verurteilt. Diese apokalyptische These überzeugt fast mit einem behaupteten Beweis: „Die Hälfte der Frankfurter hat einen Migrationshintergrund“, heißt es in einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau“, auf den sich der Autor des Drohschreibens bezog.